29.09.2010, 07:46
„Der Staat muss mit der Finanzlobby brechen“
Ein Gespräch mit dem grünen Europaabgeordneten Sven Giegold und Ulrich Müller von LobbyControl
FCD Welche Rolle spielte die Finanzlobby bei der Entstehung der Krise?
Müller Die Finanzlobby hat vor der Krise die Regeln für die Finanzmärkte aufgeweicht und dabei selbst an Gesetzen mitgeschrieben wie dem Investmentmodernisierungsgesetz. Das Gesetz ließ Hedgefonds in Deutschland zu und gewährte der Finanzbranche Steuergeschenke von mehreren Hundert Millionen Euro im Jahr. In der Krise haben die Banken die Rettungsmaßnahmen mitgestaltet, und jetzt wehren sie sich gegen schärfere Regulierungen. Etwa beim Kampf gegen strengere Eigenkapitalregeln, da spielt die Deutsche Bank eine wichtige Rolle.
FCD Wie sieht das aus?
Müller Josef Ackermann ist Vorsitzender des „Institute of International Finance“, das ist die globale Lobbyorganisation der Finanzbranche. Das IIF hat mit übertriebenen Horrorszenarien in den letzten Monaten Druck gemacht, dass die Banken ihre spekulativen Geschäfte mit nicht so viel eigenem Kapital unterlegen müssen wie geplant.
FCD Herr Giegold, wie erleben Sie die Situation konkret als Europaabgeordneter?
Giegold In Brüssel gibt es ein krasses Ungleichgewicht in der Finanzpolitik. Banken, Versicherungen und Fondsindustrie sind stark präsent, während es gemeinwohlorientierte Lobbys praktisch nicht gibt. Es wäre naiv anzunehmen, das hätte keinen Einfluss. Die intensivste Lobby-Attacke, die ich bisher erlebt habe, richtete sich gegen strengere Regeln für Hedgefonds und andere Investmentgesellschaften. Im Ausschusssaal war es schwer, noch Raum zu finden. Sogar der FDP-Kollege beschwerte sich öffentlich über das massive Auftreten. Und die Lobbyisten bedrängen nicht nur das Europaparlament, sie sitzen auch in den Expertengruppen der EU-Kommission und können so frühzeitig die Sicht der Finanzindustrie einbringen.
Müller Leider hat diese Dominanz der Finanzlobby die Krise bis heute fast unbeschadet überdauert. So hat die Bundesregierung in der Krise eine Expertenkommission eingesetzt, die neue Vorschläge für die Kontrolle der Finanzmärkte ausarbeiten sollte – und sie war voller Leute mit engen Verbindungen zur Finanzbranche. Geleitet wurde sie von Otmar Issing, einem ehemaligen Bundesbanker, der heute Berater von Goldman Sachs ist.
Giegold Auf EU-Ebene war die Situation leider ähnlich, aber die Debatte über den übermäßigen Einfluss der Finanzbranche ist in den letzten Monaten stärker geworden.
FCD Wie waren die Reaktionen auf Ihre Kritik an der Finanzlobby?
Giegold Vor allem haben wir es mit Kritik nicht bewenden lassen. Gemeinsam mit meinem französischen Kollegen Pascal Canfin habe ich eine Initiative zu einer finanzmarktkritischen Gegen-Lobby „Finance Watch“ in Brüssel gestartet. Dafür haben wir Unterstützung in allen politischen Lagern gefunden.
Müller Gegengewichte wie Finance Watch sind wichtig, aber der Staat müsste selbst unabhängige Expertise stärker fördern. Und er muss endlich mit der Finanzlobby brechen.
FCD Wie kann das aussehen?
Müller Der Staat sollte sich aus gemeinsamen Lobbygruppen wie der „Initiative Finanzstandort Deutschland“ zurückziehen, Expertengremien ausgewogen besetzen und Karenzzeiten einführen, damit Politiker oder Politikerinnen nicht nahtlos in Lobbyjobs wechseln können. Zudem brauchen wir verpflichtende Transparenzregeln für Lobbyisten in Brüssel und Berlin.
Giegold Wir brauchen eine Doppelstrategie: gemeinwohlorientierte Kräfte stärken und illegitimen Einfluss von mächtigen Partikularinteressen schwächen. Dazu können wir als Gesetzgeber Entscheidendes leisten.
FCD Was sind Ihre nächsten Projekte zum Thema Finanzlobby?
Müller Bei den „Worst EU Lobbying Awards“ stehen ab Oktober Negativfälle der Finanzlobby zur Online-Abstimmung. Außerdem arbeiten wir an einem speziellen Lobbyismus-Wiki im Internet. Die „Lobbypedia“ soll insbesondere über die Finanzlobby aufklären.
FCD Herr Giegold, wie geht es bei Ihnen im Herbst weiter?
Giegold Die Auseinandersetzung um die Regulierung der Finanzmärkte tobt in Brüssel mit voller Energie. Es stehen zirka 30 Gesetzgebungsprojekte an. Außerdem freue ich mich auf das erste Treffen zur Gründung von „Finance Watch“ Ende September.
FCD Danke für das Gespräch
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29.08.2010
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