14 Bewertungen  Schriftgröße: A

29.09.2010, 07:46    

„Der Staat muss mit der Finanzlobby brechen“

Ein Gespräch mit dem grünen Europaabgeordneten Sven Giegold und Ulrich Müller von LobbyControl von FTD
FCD Welche Rolle spielte die Finanzlobby bei der Entstehung der Krise?
Müller Die Finanzlobby hat vor der Krise die Regeln für die Finanzmärkte aufgeweicht und dabei selbst an Gesetzen mitgeschrieben wie dem Investmentmodernisierungsgesetz. Das Gesetz ließ Hedgefonds in Deutschland zu und gewährte der Finanzbranche Steuergeschenke von mehreren Hundert Millionen Euro im Jahr. In der Krise haben die Banken die Rettungsmaßnahmen mitgestaltet, und jetzt wehren sie sich gegen schärfere Regulierungen. Etwa beim Kampf gegen strengere Eigenkapitalregeln, da spielt die Deutsche Bank eine wichtige Rolle.
  Ulrich Müller ist seit 2005 Geschäftsführer der Initiative LobbyControl. 2004 haben beide gemeinsam den Kongress Gesteuerte Demokratie? organisiert.
FCD Wie sieht das aus?
Müller Josef Ackermann ist Vorsitzender des „Institute of International Finance“, das ist die globale Lobbyorganisation der Finanzbranche. Das IIF hat mit übertriebenen Horrorszenarien in den letzten Monaten Druck gemacht, dass die Banken ihre spekulativen Geschäfte mit nicht so viel eigenem Kapital unterlegen müssen wie geplant.
FCD Herr Giegold, wie erleben Sie die Situation konkret als Europaabgeordneter?
Giegold In Brüssel gibt es ein krasses Ungleichgewicht in der Finanzpolitik. Banken, Versicherungen und Fondsindustrie sind stark präsent, während es gemeinwohlorientierte Lobbys praktisch nicht gibt. Es wäre naiv anzunehmen, das hätte keinen Einfluss. Die intensivste Lobby-Attacke, die ich bisher erlebt habe, richtete sich gegen strengere Regeln für Hedgefonds und andere Investmentgesellschaften. Im Ausschusssaal war es schwer, noch Raum zu finden. Sogar der FDP-Kollege beschwerte sich öffentlich über das massive Auftreten. Und die Lobbyisten bedrängen nicht nur das Europaparlament, sie sitzen auch in den Expertengruppen der EU-Kommission und können so frühzeitig die Sicht der Finanzindustrie einbringen.
  Sven Giegold ist Mitbegründer von Attac und seit 2009 Europaabgeordneter für Bündnis 90 / Die Grünen.
Müller Leider hat diese Dominanz der Finanzlobby die Krise bis heute fast unbeschadet überdauert. So hat die Bundesregierung in der Krise eine Expertenkommission eingesetzt, die neue Vorschläge für die Kontrolle der Finanzmärkte ausarbeiten sollte – und sie war voller Leute mit engen Verbindungen zur Finanzbranche. Geleitet wurde sie von Otmar Issing, einem ehemaligen Bundesbanker, der heute Berater von Goldman Sachs ist.
Giegold Auf EU-Ebene war die Situation leider ähnlich, aber die Debatte über den übermäßigen Einfluss der Finanzbranche ist in den letzten Monaten stärker geworden.
FCD Wie waren die Reaktionen auf Ihre Kritik an der Finanzlobby?
Giegold Vor allem haben wir es mit Kritik nicht bewenden lassen. Gemeinsam mit meinem französischen Kollegen Pascal Canfin habe ich eine Initiative zu einer finanzmarktkritischen Gegen-Lobby „Finance Watch“ in Brüssel gestartet. Dafür haben wir Unterstützung in allen politischen Lagern gefunden. Müller Gegengewichte wie Finance Watch sind wichtig, aber der Staat müsste selbst unabhängige Expertise stärker fördern. Und er muss endlich mit der Finanzlobby brechen.
FCD Wie kann das aussehen?
Müller Der Staat sollte sich aus gemeinsamen Lobbygruppen wie der „Initiative Finanzstandort Deutschland“ zurückziehen, Expertengremien ausgewogen besetzen und Karenzzeiten einführen, damit Politiker oder Politikerinnen nicht nahtlos in Lobbyjobs wechseln können. Zudem brauchen wir verpflichtende Transparenzregeln für Lobbyisten in Brüssel und Berlin.
Giegold Wir brauchen eine Doppelstrategie: gemeinwohlorientierte Kräfte stärken und illegitimen Einfluss von mächtigen Partikularinteressen schwächen. Dazu können wir als Gesetzgeber Entscheidendes leisten.
FCD Was sind Ihre nächsten Projekte zum Thema Finanzlobby?
Müller Bei den „Worst EU Lobbying Awards“ stehen ab Oktober Negativfälle der Finanzlobby zur Online-Abstimmung. Außerdem arbeiten wir an einem speziellen Lobbyismus-Wiki im Internet. Die „Lobbypedia“ soll insbesondere über die Finanzlobby aufklären.
FCD Herr Giegold, wie geht es bei Ihnen im Herbst weiter?
Giegold Die Auseinandersetzung um die Regulierung der Finanzmärkte tobt in Brüssel mit voller Energie. Es stehen zirka 30 Gesetzgebungsprojekte an. Außerdem freue ich mich auf das erste Treffen zur Gründung von „Finance Watch“ Ende September.
FCD Danke für das Gespräch
Anzeige:

  • 29.08.2010
    © 2010 Financial Crimes Deutschland
Jetzt bewerten
FCD-Kürzungsmonitor

Mit dem Umverteilungspaket hat Attac ein Gegenkonzept zum Sparpaket der Bundesregierung auf den Tisch gelegt. Schwarz-Gelb will die Kosten der Finanzkrise den Schwächsten in der Gesellschaft aufbürden. Den geplanten Sozialabbau rechtfertigt sie mit seiner angeblichen Alternativlosigkeit. Wir zeigen, dass es sehr wohl anders geht – vorausgesetzt, der politische Wille ist da.

Konzept lesen
Mehr Informationen zum Attac Umverteilungspaket gibt es hier

  •  
  • blättern
  Bleib auf dem Laufenden!
  09:36 Wirtschaft Attac Deutschland wird 10


Attac Deutschland ist 10 jahr alt geworden.Doch was bewegt die KritikerInnen der Globalisierung? Erfahren Sie mehr über diese Organisation und den kommenden Themen. mehr

Krisen-Blogs
Weitere Krisen-Blogs

alle Themen-Blogs

FCD als Startseite

Starten Sie automatisch. Es geht ganz einfach. mehr


UNTERNEHMEN
  •  
  • blättern
  •  
IT+MEDIEN
  •  
  • blättern
FINANZEN
SPORT
  • Als sich am 23. August knapp 70 Menschen mit Rucksack vor dem Wappen am Millerntorstadion trafen, wusste keiner so genau, was in den kommenden Tagen passieren würde und worauf man sich hier eigentlich eingelassen hat. mehr

  • Besitzen ist gut – denn wer da hat, dem wird gegeben, so steht es schon in der Bibel. Und wer wie eine Bank besonders viel besitzt oder dort große Mengen Geld angelegt hat, dem wird auch besonders viel gegeben – und zwar Milliarden aus den öffentlichen Kassen, zur Sanierung der Bankrotteure. mehr

  • 3.033,33 Euro konnte Spielleiter Malte Melloh dem nun Ex-St.Pauli-Kicker und Bundesverdienstkreuz-Träger (seit 10/2009) Benjamin Adrion und seinem Team überreichen. Diese Summe haben 194 Mitspieler der Tipprunde gesammelt, um damit Brunnenbauprojekte in Entwicklungsländern zu realisieren. mehr

  •  
  • blättern
POLITIK
  • Die „Zivilgesellschaft“ ist so eine Art Heilsarmee der Demokratie. Sie besteht aus Wohlfahrtsverbänden, aus Stiftungen und aus vielen großen und kleinen Bürgerinitiativen. Die Zivilgesellschaft beantwortet eine Frage, die in Zeiten von anhaltend schlechten Nachrichten besonders beliebt ist: Wo bleibt eigentlich das Positive? mehr

  •   08:08 Intransparenz mit System Bankenrettung undemokratisch!

    Mit dem so genannten Restrukturierungsgesetz, das die Bundesregierung im Herbst durch den Bundestag bringen will, sollen bei der Rettung von maroden Banken künftig „öffentliche Haushalte geschont werden“, so das Finanzministerium. Ein genauerer Blick in den Gesetzestext zeigt aber, dass dieses Versprechen kaum eingelöst wird. mehr

  • Europaweit machen soziale Bewegungen am 29. September gegen Kürzungspolitik mobil. Der Europäische Gewerkschaftsbund ruft zu einer Großdemonstration in Brüssel auf, zu der auch aus vielen deutschen Städten Busse organisiert werden. In Spanien und Griechenland sind Generalstreiks angekündigt. Und das globalisierungskritische Netzwerk Attac beteiligt sich mit einem Bankenaktionstag. mehr

MANAGEMENT+KARRIERE
  •   12:00 Kopf des Tages Rattenfänger der Rechten

    Ein durchgeknallter Populist als Tauchsieder der Tea-Party-Bewegung, die Präsident Obama stürzen will? Diese Personalie ließe sich abtun, wenn Glenn Beck nicht einer der erfolgreichsten Meinungsmacher der USA wäre. Dieser zum Mormonentum konvertierte Nachfahre deutscher Einwanderer erreicht mit seinen täglichen Fox-News-Rundfunks- und Fernsehprogrammen mehr als elf Millionen Zuschauer und füllt auf seinen „listening tours“ Stadien mit 850 000 Leuten. Ein Mediengewaltiger avanciert zum Quasi-Führer einer rechten Bewegung. mehr

  • Dem Vernehmen nach (ZEIT, 23.9.2010) hat sich Finanzminister Schäuble von der Finanztransaktionssteuer distanziert, zu der er sich am 21. Mai dieses Jahres zum ersten Mal, und vergangene Woche bei den Beratungen zum Bundeshaushalt zum letzten Mal öffentlich bekannt hat. Er werde alles daran setzen, dass diese Steuer komme, sagte Schäuble vergangenen Dienstag vor dem Bundestag. Heute liest man, dass Schäuble die Steuer ablehnt. Die Steuer sei ohnehin nicht auf seine Initiative Regierungspolitik geworden. mehr

  •  
  • blättern
 
Home | Unternehmen | Finanzen | Börse | Politik | Management+Karriere | IT+Medien | Wissen | Sport | Auto | Lifestyle | zum Seitenanfang

© 1999 - 2010 Financial Crimes Deutschland
Aktuelle Nachrichten über Wirtschaft, Politik, Finanzen und Börsen

Börsen- und Finanzmarktdaten:
Bereitstellung der Kurs- und Marktinformationen erfolgt NICHT durch die Interactive Data Managed Solutions AG. Es wird keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben übernommen!

Über FTD.de | Impressum | Datenschutz | Disclaimer | Mediadaten | E-Mail an FTD | Sitemap | Hilfe | Archiv
Mit ICRA gekennzeichnet

VW | Siemens | Apple | Gold | MBA | Business English | IQ-Test | Gehaltsrechner | Festgeld-Vergleich | Erbschaftssteuer
G+J Glossar
Partner-Angebote