29.09.2010, 03:46
Planlos in der Krise
„Wer Visionen hat, der sollte damit zum Arzt gehen“ sagte Bundeskanzler d. Reserve Helmut Schmidt
Das Bedrückendste in diesen Tagen ist für mich die völlige Abwesenheit einer Vision. „Wir wollten schnellstmöglich wieder dahin, wo wir vor der Krise waren“, sagte die Kanzlerin und erntete für diese Bankrotterklärung starken Applaus ihrer bürgerlichen Koalition.
Weit und breit noch nicht einmal der Versuch, den Abschied vom Wachstum gedanklich zu gestalten.
Die Linke klebt noch am Staats-Sozialismus, der ist aber keine Vision, sondern eine niederschmetternde Erfahrung. Die SPD taktiert nur, der sitzen noch Gestalten wie Helmut Schmidt im Nacken, der seine Nikotinabhängigkeit mit freiem Bürgergeist verwechselt. „Wer bei uns Visionen hat, der sollte damit zum Arzt gehen“, hat Schmidt mal gekalauert.
Bei der Union dasselbe: Visionären Konservativen wie Heiner Geißler wird in der CDU Parteiaustritt und psychiatrische Behandlung empfohlen.
Für eine Vision müssen wir das Land verlassen, wenigstens gedanklich. Wir müssen zurück zur letzten Weltwirtschaftskrise.
Am 4. März 1933 ging ein Ruck durch ein Land. Durch Deutschland auch, aber das meine ich nicht. (Bei uns wurden in diesen Tagen Hunderte aufrechter Demokraten von der Gestapo abgeholt.)
Ich meine die USA, dort verkündete an diesem Tag Präsident Roosevelt den „New Deal“, den großen Gesellschaftsvertrag. Eine Vision, und was für eine. Der Zustand der USA vor dem „New Deal“ war geprägt durch Finanz- und Wirtschaftskrise, Rezession, Massenarmut, verrottetes Bildungssystem und Superreiche, die das Land plünderten. Eine Beschreibung, die uns bekannt vorkommen muss.
Eine Generation später blühte das Land wie nie zuvor, dynamische Mittelschicht, solide Mindestlöhne, und aus den Superreichen waren Wohlhabende geworden. Durch eine gewaltige Umverteilung von oben nach unten.
Kennen sie den Unterschied zwischen wohlhabend und reich? Warren Buffett, einer der Top Ten der Weltrangliste, hat „reich“ definiert: Wenn beim Geldzählen eine Million fehlt und man merkt es nicht, dann ist man reich.
Roosevelt setzte seinen Deal damals gegen den erbitterten Widerstand der Reichen durch. Es gab Morddrohungen, als er für begrenzte Zeit den Spitzensteuersatz auf 75 Prozent und die Erbschaftssteuer auf mehr als 40 Prozent erhöhte.
1936 hielt er eine Wahlkampfrede, die es in sich hatte. Zitat: „Wir müssen uns der alten Feinde erwehren – Wirtschafts- und Finanzmonopole, Spekulation, rücksichtslose Banken, Kriegsgewinnler. Sie betrachten die Regierung schon als ein bloßes Anhängsel ihrer eigenen Geschäfte … “
Was sagt man dazu? Das war kein weltfremder sozialistischer Spinner, der das sagte, sondern einer der besten Präsidenten, die Amerika je hatte. Mit solchen Reden konnte man schon mal Wahlen gewinnen in einem durch und durch kapitalistischen Land!
So was könnten wir auch gut brauchen. Weil wir gerade bei 1933 waren, sollten wir uns in Erinnerung rufen, wie die deutsche Regierung damals auf die Weltwirtschaftskrise reagierte: mit dem Gesetz „zur Beseitigung von Not und Elend des Volkes“, verabschiedet am 24. März 1933, bekannt geworden als „Ermächtigungsgesetz“, das die demokratischen Rechte außer Kraft setzte. Das bürgerliche Lager, inklusive Adenauers Zentrum und dem liberalen Theodor Heuss, haben damals zugestimmt. Der Grund für diese Zustimmung ist rückblickend ungeheuerlich: Hitler hatte ihnen versprochen, die Funktion des Reichspräsidenten Grußaugust Hindenburg zu erhalten.
In den USA führte Roosevelt den Staatskapitalismus ein und schröpfte die Reichen, bei uns engagierten Großkapital und Hochfinanz einen Schlägertrupp, um die systemische Bedrohung in den Griff zu kriegen – durch Raubmord und Erweiterung des Lebensraums.
Was will uns die Geschichte damit sagen? Vielleicht, dass unser stolz bürgerliches Lager nicht in jeder Krise weiß, wie man in schwerer See den Kurs hoch hält.
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29.08.2010
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