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29.09.2010, 10:46    

Feuerprobe für die Demokratie

Warum der heilige Augustinus heute ein Attac-Mitglied wäre von Heribert Prantl
Die „Zivilgesellschaft“ ist so eine Art Heilsarmee der Demokratie. Sie besteht aus Wohlfahrtsverbänden, aus Stiftungen und aus vielen großen und kleinen Bürgerinitiativen. Die Zivilgesellschaft beantwortet eine Frage, die in Zeiten von anhaltend schlechten Nachrichten besonders beliebt ist: Wo bleibt eigentlich das Positive? Es gibt dieses Positive – nämlich Zehntausende sozialer und gesellschaftspolitischer Projekte im Land, die dort ansetzen, wo der Staat es nicht oder nicht mehr tut.
  Bankenaktionstag
Sie machen Kultur; sie finanzieren, was der Staat nicht mehr finanziert. Sie kümmern sich – viel persönlicher als dies die beste staatliche Jobagentur kann – um Ausbildungsplätze für Jugendliche; sie leisten Hausaufgabenhilfe für ausländische Kinder; sie begleiten türkische Eltern zur Klassenversammlung; sie kriechen unter den Teppich, unter den Hartz IV die neuen Armen der Gesellschaft gekehrt hat, und sie tischen ihnen etwas zum Essen auf. Die Wiederkehr der Suppenküchen zeigt, wie groß der Mangel in Deutschland ist. Das ist das Negative. Die Zahl der Bedürftigen, die bei den Tafeln essen, hat sich seit Hartz IV verdoppelt. Weil das nicht einfach so weitergehen soll, gibt es Attac.
Die Arbeit von Stiftungen, Bürgervereinen und Tafeln kann nur eine Ergänzung des Sozialstaats sein. Der Staat hat seine Pflicht zu erfüllen, privates Engagement ist die Kür. Die Gesellschaft braucht dafür Kümmerer; und sie braucht Stiftungen und Vereine, die dieses Kümmern organisieren und begleiten. Es gibt viele dieser Kümmerer, aber der Staat behandelt sie zu oft als nützliche Idioten. Die großen Verbände wiederum sehen diese Kümmerer zu oft eher als Störer denn als willkommene Helfer. Beim Wort „Zivilgesellschaft“ kriegen viele Politiker einen barmherzig-gütigen Gesichtsausdruck; beim Wort „Attac“ friert ihnen dann die gute Miene wieder ein. Engagement braucht aber nicht nur Anführer und Anreger, sondern auch Aufreger.
Attac ist Anreger und Aufreger. Attac will mit seinem Werben für die Transaktionssteuer im Speziellen und für ein sozialverträgliches Wirtschaften im Allgemeinen dafür sorgen, dass der Sozialstaat finanziert werden kann. Das ist nicht einfach Wohltätigkeit, das ist Einsatz für die Demokratie. Sozialstaat und Demokratie gehören zusammen. Der Sozialstaat sorgt dafür, dass der Mensch Bürger sein kann. Und Attac kämpft dafür, dass es nicht allein bei der Globalisierung des Kapitalismus bleibt, sondern daneben eine globalisierte soziale Verantwortung gestellt wird. Es geht darum, um das Attac-Mitglied Heiner Geißler zu zitieren, die soziale Marktwirtschaft zu internationalisieren.
In den Monaten der großen Wirtschafts- und Finanzkrise sind auf den Finanzmärkten viele Milliarden Dollar und Euro verbrannt. Noch viel schlimmer wäre es, wenn in dem Feuer auch noch das demokratische Grundvertrauen verbrennen würde. Es geht nicht nur darum, gigantische Geldlöcher zu stopfen, sondern auch darum, dass aus der Krise des globalen Kapitalismus nicht eine globale Krise der Demokratie wird. Die Dirigenten des internationalen Geldmarkts haben viel dafür getan, dass es so kommt. Sie haben erfolgreich versucht, die Politik demokratisch gewählter Regierungen ihrer Disziplin zu unterwerfen. Sie haben Regierungen genötigt, sie haben den Abbau von Kontrollen erzwungen – und sind gleichwohl mit eigens gegründeten Zweckgesellschaften in die Nischen der Welt geflohen, in denen sie ihre riskanten Geschäfte noch besser verstecken konnten. Die Großmanager des Geldmarkts taten so, als sei die Demokratie eine Spielwiese für Kleinbürger, und als hätten Wahlkämpfe und Wahlen nur eine Funktion ähnlich der, wie sie „Brot und Spiele“ im alten Rom hatten.
Indes: Demokratie ist etwas ganz anderes, sie ist eine Gemeinschaft, die ihre Zukunft miteinander gestaltet. Die Dirigenten der Finanzmärkte haben sich aus diesem Miteinander ausgekoppelt. Attac versucht, diese Entkoppelung wieder rückgängig zu machen. Die globale Ökonomie braucht eine globale politische Antwort.
„Ein Staat, dem die Gerechtigkeit fehlt, ist nichts anderes als eine große Räuberbande.“ Dieser Satz stammt nicht von der Gewerkschaft Verdi, nicht von der Linkspartei und nicht von Attac. Er stammt vom heiligen Augustinus. Vielleicht wäre der heute Mitglied bei Attac.
Prof. Dr. Heribert Prantl leitet die Redaktion Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung.
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  • 29.08.2010
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